Einjähriges Kommunikationstraining für junge autistische Erwachsene zur Steigerung der sozialen Kommunikationsfähigkeiten

mit Harald Brill 

Ausgangssituation und Vorerfahrung

Mit sieben Teilnehmern, aus zwei vom Regionalverband Nordhessen zur Förderung autistischer Menschen begleiteten Gruppen junger, männlicher Autisten, wurde ein geplantes Kommunikationstraining durchgeführt, mit dem Ziel ihre zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeiten weiter zu entwickeln.

Die erste Resonanz bei den Teilnehmern schon während und nach dem Kommunikationstraining war durchgehend sehr positiv, obwohl das Training teilweise am Rande der kognitiven und emotionalen Fähigkeiten der Teilnehmer war. Die Teilnehmer haben sich, aber so sicher in der Gruppe gefühlt, daß sie die Lernsituation im Rahmen ihrer Möglichkeiten nutzten und nutzen wollten.

Auch von außen waren bei den einzelnen Teilnehmern sichtlich positive Verhaltensänderungen zu bemerken. Auffällig ist, daß bei jedem der Teilnehmer, besonders im nonverbalen Bereich, Verhaltensänderungen bemerkbar sind. Einige halten jetzt Augenkontakt bei einer Begrüßung, andere reden mit einer lauteren Stimme.

Obwohl die Teilnehmer kognitiv und emotional erhebliche Unterschiede bezüglich ihrer Fähigkeiten haben, war es möglich dies zu integrieren. Eher war es eine befruchtende Situation, weil einige phasenweise Rücksicht und Verantwortung übernehmen mußten. Anderseits dafür teilweise Bewunderung und Respekt erhielten.

Einjähriges Kommunikationstraining in vier Wochenendblöcken

Das Training findet in Form von Wochenendblöcken in dreimonatigen Abständen statt und umfaßt einen Zyklus von vier Wochenenden

Das Kommunikationstraining hat keine therapeutische Intension.

Kommunikative und soziale Probleme und Schwierigkeiten sind etwas grundsätzlich menschliches. Insofern braucht jeder ein lebenslanges Erlernen kommunikativer Fähigkeiten. Aufgrund autismusbedingter Voraussetzungen bei den Teilnehmern, ist der kommunikative Lernbedarf zum Teil erheblich ausgeprägter und die sozialen Lernfähigkeiten anders entwickelt.
Das Training versteht sich als ein Impulsgeber für das Entwickeln neuer Fähig- und Fertigkeiten im Sozialverhalten und Selbstausdruck der Teilnehmer.

Der Idee, der dreimonatigen Wochenendintervalle liegt zu Grunde, daß die Lernerfahrungen dadurch langfristig bei den Teilnehmern vertieft werden und Übungsaspekte auf die Lernbedürfnisse zugeschnitten werden können.

Kommunikative Problemfelder der Teilnehmer

Zwischen autistische Menschen und „normalen“ Menschen treten immer wieder bestimmte kommunikative Konflikte und Schwierigkeiten auf, was auf beiden Seiten zu Verunsicherung und Rückzug führt.

Autistischen Menschen fehlen teilweise folgende Fähigkeiten:

  • Körpersprache und deren Signale erkennen und richtig zuordnen können
  • die eigene Körpersprache kontrolliert einsetzen können
  • Die üblichen Verhaltensspielregeln, wie Höflichkeitsformen sind nicht bekannt oder wer- den mißachtet. Das unkonventionelle und direkte Verhalten von autistischen Menschen wirkt beängstigend.
  • Der „Realitätssinn“ für das Gestalten bedürfnisbefriedigender Verhaltensmuster ist unzureichend entwickelt, infolge dessen besteht eine geringere Frustrationstoleranz und hohe soziale Abhängigkeit.

Dies führt bei „normalen“ Menschen zu Irritation und Rückzug, was wiederum bei autistischen Menschen das Gefühl von Ablehnung und Anderssein stabilisiert.

Die Verhaltensspielregeln, E.Bern, nennt sie die Spiele der Erwachsenen, sind ungeschriebene Regeln, die man in der Regel lernt, ohne es zu wissen. Viele Menschen entwickeln die Fähigkeit diese ungeschriebenen Regeln zu befolgen, die heute als emotionale Intelligenz bezeichnet wird, weitgehend intuitiv.

Defizite machen sich in Alltagssituationen schnell bemerkbar und können durch gezieltes Verhaltenstraining ausgeglichen werden.

Allgemeine Ziele des Kommunikationstrainings

Die verbale und nonverbale Kommunikationsfähigkeit soll erhöht werden, um flexibler und selbstsicherer auftreten zu können:

  • Durch gezielte Rückmeldungen über das verbale und nonverbale Verhalten sollen die Teilnehmer Korrekturimpulse bekommen

Besonders nonverbale Grundfähigkeiten sollen trainiert werden:

  • Erkennen innerer Zustände anhand der Mimik, der Tonalität von stimmlicher Modulation
  • Das Aufnehmen von Beziehung über Augenkontakt
  • Das gezielte Einsetzen von Gesten und Körperkontakt

Die Eigeninitiative und Selbstmotivation soll generell angeregt und gesteigert werden:

  • Bisher blockierende Ängste sollen bearbeitet werden, um neues auszuprobieren.
  • Der Mut neues auszuprobieren, insbesondere von Freizeitaktivitäten, die soziale Kontakte fördern.
  • Das Selbstwertgefühl soll durch Aktivitäten gesteigert werden.
  • Die eigene Entscheidungsfähigkeit aufgrund von Interessen und Auswahlkriterien soll weiter entwickelt werden.

Planungsfähigkeiten, insbesondere das „Zeitgefühl“ für Aktivitäten soll geschult werden:

  • Umgang mit alltäglichen Streßsituationen z.B Umgang mit Kritik soll trainiert werden.
  • Warten- und Ablehnungssituationen sollen durchgespielt werden und angemessene Reaktionsmuster entwickelt werden.

Lerneinheiten und Themen 
Jedes Wochenende des Kommunikationstraining soll einen thematischen Schwerpunkt haben: 

1. Einfühlung

  • Herstellen und halten von Blickkontakt
  • Erkennen spezifischer mimischer Bedeutungen
  • Kontaktaufnahme – respektieren von körperlichen Grenzen
  • die Bedeutungen bestimmter Betonungen

2. Selbstausdruck

  • Angemessene Modulation der eigenen Stimme
  • Verbessern des sprachlichen Ausdrucks
  • Gezieltes Einsetzen von Gesten
  • Körperhaltung und äußeres Erscheinungsbild
  • Das angemessene Ausdrücken von Kritik und Zurückweisung

3. Soziale Kontakte und Aktivitäten

  • Geprächseröffnungen
  • Redewendungen und Höflichkeitsgesten
  • Aktives Zuhören und das Erfragen von verstehensrelevanten Informationen
  • Angemessener Umgang mit Ablehnung und Zurückweisung
  • Erkennen und bewerten von eigenen Interessen
  • Entwickeln von Streßtoleranz in Wartesituationen

4. Zeitplanung und Selbstorganisation

  • Das Unterteilen von Aktivitäten in Handlungssegmente
  • Ungewißheitsfaktoren vorher erkennen
  • Berechenbarkeit der Dauer von sozialen Interaktionen und Aktivitäten
  • Das Nutzen von Informationsquellen

Für jeden Themenkomplex werden basale Fähigkeiten und komplexere Verhaltensmuster typischer Alltagssituationen ausgewählt und geübt. 

Arbeitsansatz und Methoden
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit soll das Kommuinaktionstraining stark praxisorientiert auf die alltäglichen Kommunikationssituationen der Teilnehmer zugeschnitten werden. Persönliche Streßsituationen sollen in dem geschützten Rahmen des Trainings durchgespielt werden, um neue Verhaltensreaktionen zu entwickeln.

Das methodische Vorgehen wird im wesentlichen auf dem Einsetzen von gezielten Rollenspielen für spezifische Alltagssituationen liegen. In der Regel werden die Trainer bestimmte Verhaltensmuster vorspielen, um die unterschiedliche Wirkungsweise auf den Kommunikationspartner zu demonstrieren.

Danach werden die Teilnehmer nützliche und sinnvolle Verhaltensreaktionen selbst durchspielen. Von den Teilnehmern und Trainern werden sie dann Rückmeldungen bekommen, um das Verhalten noch weiter zu entwickeln. Evtl. werden hierfür auch Videoaufzeichnungen benutzt.

Der Komplexitätsgrad soll im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Teilnehmer von Übung zu Übung gesteigert werden 

Beispielhafte Themen für Rollenspiele:

  • Sich in einer Gruppe vorstellen
  • Etwas einkaufen
  • Etwas reklamieren
  • Jemand Fremdes ansprechen
  • Sich auf eine Stellenanzeige bewerben
  • Konfliktthemen erkennen und benennen
  • Mit Fremden streiten / mit Freunden streiten
  • Eine Bestellung aufgeben
  • Telefonate mit Fremden / Freunden
  • Eine Reise planen
  • Kontakt mit dem anderen Geschlecht, in diesem Fall Frauen, aufnehmen